iTrust – Das verlorene Paradies
Sakral wirkt der Raum mit der Installation iTrust auf den ersten Blick. Das museale Flüstern wird zum andächtigen Schweigen. Meditationsmusik, die aufdringlicher klingt als das darauf folgende Handyklingeln, das man kaum wahrnimmt, nicht zuletzt auch aus Gewohnheit.
Ein kleines Schild am Eingang bittet mich, mein Smartphone für die Dauer meines Aufenthaltes abzulegen. Nun habe Ich gar keines, nicht einmal ein schlichtes Mobiltelefon. Ich bin erleichtert, denn was würde Ich tun? Würde Ich es tatsächlich hergeben? Oder würde Ich es verschämt ausschalten um nicht aufzufallen, sollte es klingeln? Würde Ich meine schnurlose Nabelschnur zum Rest der Welt tatsächlich, und sei es nur für kurze Zeit, unbeaufsichtigt lassen? Ich glaube nicht.
Bereits bevor Ich die einzelnen Gegenstände der Installation genauer betrachten kann, wird ihre reliquienhafte Inszenierung deutlich, durch das strahlende Licht von oben, durch ihre Platzierung auf acht Sockeln, die in ihrer symmetrischen Anordnung einen Mittelgang bilden, der auf einen stilisierten Altar zuläuft, dahinter auf Augenhöhe ein Monitor mit Wolkenbildern. Das verleiht dem Raum eine spirituelle Aura. Verspricht mir der Künstler etwa den Weg ins Paradies? Wohl kaum, denn die zuerst wahrgenommene Symmetrie wird gebrochen durch einen zweiten Monitor am hinteren Ende der rechten Wand. Ich erkenne nicht, was er zeigt, beginne aber zu ahnen, das irgendetwas hier nicht stimmt. Gott sei Dank, denke Ich. Es soll ja nicht zu einfach sein. Und dann: Nein, Gott passt nicht so recht hierher, seinen Platz haben andere eingenommen. Zum Beispiel die goldene Maneki-neko, die ewig winkende asiatische Glückskatze, die mich hereinwinkt, freundlich grinsend.
Doch Ich lasse mich nicht täuschen, ihre Augen sind tot, ihr Lächeln blechern. Ich weiß, sie will nur mein Geld. Und doch gelingt es ihr, mich von dem Apfel abzulenken, sodass Ich erst nachdem Ich an ihm vorbeigegangen bin erkenne, dass er angebissen ist.
Hat Maneki-neko mich in ein beschädigtes Paradies gelockt? Traditionell stehen diese Katzenfiguren über der Kasse um Kunden anzulocken, aber auch an den Eingängen zu Bordellen. Will sie nicht nur mein Geld, sondern auch meinen Körper, gar meine Seele?
Etwas Düsteres nimmt Form an, auch wenn hier mit viel Witz und Ironie gearbeitet wird. So stehen sich wie konkurrierende Weltbilder das helle Spaghettimonster und die dunkle Materie aus schwarzem Kabelsalat gegenüber. Um den paradiesischen Urzustand wieder herzustellen, finden sich am „Point of Sale“ frische Äpfel aus Massenproduktion, die sich gleichen wie ein Ei dem andern, und goldene Eier, gelegt von Hühnern, die – es würde mich nicht wundern – jeden Moment als gebratene angeflogen kommen. Ein Handy, sorgfältig arrangiert mit Mandala und Platine, erinnert an eine orthodoxe Ikone, ein alter Brockhausbeitrag zum Begriff „Fernsprecher“ erscheint wie der Fund einer archäologischen Ausgrabung, die ersten Schriftzeichen einer einstmals neuen Kultur.
Und dann, zum Abschluss, was zunächst wie ein dekadenter Spaß wirkt: Ein iPhone, durch das ein riesiger Nagel in ein grobes Stück Holz getrieben wurde. Das Glas elegant, sternförmig gesplittert. „Salvation“ nennt der Künstler dieses Stück. „Erlösung“. Diese symbolische Kreuzigung des iPhones erhält ihren ganz besonderen Beigeschmack, wenn man sich daran erinnert, wie Steve J(obs) sich selbst, gegen Ende immer manischer, inszeniert hat:
als Messias, als Heilsbringer, der den Menschen mit jedem neuen Produkt die Glückseligkeit, das Paradies ein kleines Stück näher bringt; wenn man sieht, wie der Konzern mit dem angebissenen Apfel als Logo, dem Symbol für den Verlust des Paradieses, sich immer aufdringlicher und unverstellter wie eine Glaubensgemeinschaft präsentiert und dessen Läden Kirchen ähneln, wo nicht Produkte an Kunden verkauft werden, sondern wo man seinen Jüngern Himmelsgeschenke (wenn auch kostspielige) mit auf den Weg gibt, auf dass sie die Worte ihres Herrn hinaustragen in die Welt.
Ich blicke zum zweiten Monitor und lese in der Laufschrift, die endlos gleichmütig wie ein Mantra oder eine Gebetsmühle dahinrollt, wie Ich mein Leben verbringe – ob gewollt oder ungewollt im Zeichen des kleinen i: iEat, iDrink, iSleep, iDream, iWork, iPause, iLive, iDie …
iPark – Zurück in die Wirklichkeit
Zu jeder Kirche gehört eine Krypta – und unter der stilisierten iTrust-Kirche finde ich die stilisierte Krypta iPark. Eine Projektion von Tiefgaragenansichten auf der Stirnseite des Raumes wird von einer Überwachungskamera auf eine andere Wand projiziert. Auf diesem Bild bin auch ich zu sehen. Vor der Originalprojektion stehen drei Zinksärge auf stählernen Rollwagen. Dunkel, düster, kalt, funktional.
Ich bin im Transitbereich, sehe mich selbst in der Projektion der Tiefgarage vor den Särgen stehen. Mein Schatten, je nachdem wie ich stehe, schwebt über den Särgen.
Aber natürlich ist das keine Horror-Show, gruselig ist hier gar nichts. Nein, sobald man erfasst hat, was hier technisch gespielt wird, wirkt das Ganze eher beruhigend. Denn nachdem ich oben meine Sinne zuerst ganz von mir weg auf die wertlosen Dinge gerichtet habe, von denen ich mein Leben führen lasse, nachdem ich dort gespürt habe, dass Heraklits Wort “Wenn den Menschen das zuteil wird, worauf sie ihren Sinn richten, ist es noch keine Besserung“ auch nach 2.500 Jahren noch immer gilt, werde ich hier unten zur Gänze auf mich selbst zurückgeworfen. Die Dinge spielen keine Rolle mehr. Keine Idole, keine Reliquien, kein strahlend schönes Falsch. Die Projektionen sind schwarz-weiß-grau. Auch mein Double, das ich wie heimlich von hinten beobachte. Bin ich das überhaupt?
Eine scheinbar achtlos liegen gelassene Parkscheibe gibt mir Halt. Halt an der Zeit. Ein Klammern an die Zeit, die noch bleibt.
Die Särge sind nicht bedrohlich, sie sind einfach da. Sie drängen mich nicht. Es sind kalte funktionale Zinksärge, nicht mehr ganz neu, wohl oft benutzt. Stünden hier Holzsärge, die gleich mir irgendwann verrotten werden – der Raum würde eine Art pietätvolle Würde erhalten, die hier nicht her passt, man fühlte sich zu sehr erinnert ans Ritual, an die Reliquie, die oben bereits mitsamt ihrer Beliebigkeit dekonstruiert wurde. Diese drei Zinksärge hingegen sind funktional und sachlich. Ganz auf der Erde, auf dem Boden der Tatsachen. Zum einen sehe ich: es sind drei, ich bin also nicht allein. Alle sind sterblich, nicht nur ich. Zum andern höre ich: Es hat keine Eile. Lass Dir Zeit. Nimm Dir Zeit soviel Du kannst. Wir warten. Wenn nicht hier, dann an einem anderen Ort, in einem anderen Keller, direkt unter Deinem persönlichen Paradies. ET IN ARCADIA EGO.
Das Leben ist nie nur Leben, das Leben ist immer Leben zum Tode hin. Nur der Tod ist nur der Tod. Und trotzdem verlasse ich diesen Raum nicht bedrückt oder gar trübsinnig. Vielleicht hat mich hier etwas tatsächlich Spirituelles erfasst – nicht der falsche Spiritus, der in iTrust so trefflich bloßgestellt wurde – sondern ein Spiritus, der hier aus der Tiefe kommt. Einer, der ganz nah bei mir ist, der letztlich nichts anderes ist als meine eigene Existenz. Und der sagt: Vergeude nichts.
Schmidtpeters Kunst ist existenzialistisch. Durch die gezielte Deplatzierung von Alltagsgegenständen, durch Kombination des Unkombinierbaren bringt er den Betrachter zum Nachdenken über den Wert dieser Dinge, über den zum Teil bedrohlichen Wert, den wir den Dingen beimessen, ihren Fetischcharakter und unsere Unterwerfung. Somit führt er uns zum Nachdenken über uns selbst.
Man verlässt diese Ausstellung nicht unbedingt klüger, aber man hat wohl die eine oder andere Frage neu formuliert, die man mit auf den Weg nimmt. Fragen nach der Bedeutung der Dinge, die unsere Leben zum Teil maßgeblich bestimmen, Dinge, die einen gleichsam religiösen Charakter entwickelt haben. Und Fragen nach unserer Zeitlichkeit. Die aber nicht negativ als verrinnende Zeit zu verstehen ist, sondern als zu nutzende Zeit. Vielleicht sogar, durchs Nachdenken und befreit von der Last der falschen Götter, als gewonnene Zeit.
Bernd Nixdorf