Armin Rohr über drive-by-shooting
Zentrales Bild der Arbeit ist das Fliesenmuster eines sog. QR Codes. Ich zitiere der Einfachheit halber aus Wikipedia:
„ Der QR Code (QR steht für englisch: quick response = schnelle Antwort) ist ein zweidimensionaler (2D) Code, der von der japanischen Firma Denso Wave im Jahr 1994 entwickelt wurde.
Der QR Code besteht aus einer quadratischen Matrix aus schwarzen und weißen Punkten, welche die codierten Daten im Dualsystem darstellen. Eine spezielle Markierung in drei der vier Ecken des Quadrats gibt die Orientierung vor.
Die Daten im QR Code sind redundant vorhanden. Selbst wenn bis zu 30% des Codes zerstört sind, kann er dennoch entschlüsselt werden….”
Die Möglichkeiten der QR Code Technologie sind sehr vielfältig. „Mobile tagging” nennt sich die Möglichkeit, mit dem Handy einen Code zum Beispiel von einem Veranstaltungsplakat abzufotografieren und so direkt z.B. auf eine Internetseite zu gelangen. Das bei umständliche Eintippen einer Internetadresse wird überflüssig.
Dort finde ich dann die gewünschten Informationen z. B. einer Veranstaltung und im Idealfall kann ich telefonisch oder per Mail gleich noch das Ticket für die entsprechende Veranstaltung bestellen.
Ludwig Schmidtpeter bringt in der Mitte eines stark vom Verkehr frequentierten Kreisels an einem Brückenpfeiler einen QR Code aus Steingut-Fliesen an.
Bei der Suche nach einem geeigneten Material für das Fliesenbild ließ er sich von der Frage leiten: „Wie kann ich meine Art zu arbeiten in den öffentlichen Raum tragen?” Dahinter steckte der Anspruch, eine Arbeit zu schaffen, die nicht nach kurzer Zeit zerfällt, sondern vielleicht Ihre Zeit überdauert.
Ich zitiere Ludwig Schmidtpeter:
„Idee & gleichzeitige Frage ist, dass & ob der QR Code als dauerhaft angelegtes Fliesenmuster die eingesetzte Technologie selbst überlebt.D.h. wenn die Fliesen 10 Jahre halten, gibt es diese Technologie vielleicht schon gar nicht mehr. Das ist meine Spekulation.
Dann wird man nur noch sagen können – ach ja – damals so um 2009 herum gab es diese Dinger. Das Muster ist ein Relikt aus dem Jahr 2009. Eine technische Ruine. Für das menschliche Auge/Hirn ohne konkrete inhaltliche Bedeutung.
Der QR Code ist für mich die Ikone des Jahres 2009.”
(Ich möchte Sie an dieser Stelle nur an die römischen Fliesen in Perl erinnern, die nun immerhin seit fast 2000 Jahren existieren)
Archäologen & Wissenschaftler sind in der Lage, uralte Schriften oder Bedeutungen & Funktionen alter Kultstätten zu entziffern & zu entschlüsseln – der QR Code ist aber nur mit & für einen Computer zu generieren & zu verstehen.Wenn die Dinge des Alltags durch integrierte Chips und digitale Funktionen „erweitert“ werden & ihnen nicht mehr anzusehen ist, was sie sind und wozu sie sind, schwindet die Möglichkeit des Dechiffrierens, des Lesens der Dinge und damit die Sicherheit im Umgang mit ihnen. Ohne die geeigneten Werkzeuge entziehen sich die Dinge unserer Realität & Erkennbarkeit. Ein semantisches Vakuum umhüllt das Ding (der dann irgendwann ironischer- oder witzigerweise – mit dem Wissen, dass es sich um einen Kunst- oder Kultgegenstand handelt, wieder mit einer völlig anderen Bedeutung & Inhalt aufgeladen werden kann …)In einer ersten Idee sollte der Betrachter die stark befahrene Straße überqueren & den Code, sofern vorhanden – mit seinem QR Code fähigen Mobiltelefon abfotografieren. Wegen der starken Gefährdung für den Betrachter allerdings änderte Ludwig Schmidtpeter seinen Plan.
„Das Fliesenmuster sollte möglicherweise aus einem fahrenden Auto heraus abfotografiert werden. Die Arbeit ist eigentlich absurd. Sie spielt mit den technischen Möglichkeiten, die aber letztlich doch nicht oder nur unter exotischen Bedingungen funktionieren.
[Modernes Handy mit installierter Software, Software muss gestartet sein – möglicherweise ist es kaum möglich aus der Bewegung heraus einen QR Code zu Scannen].„Er steht für unser derzeitiges gesellschaftliches Bedürfnis, immer und überall mobil und online zu sein. – Möglicherweise drehen wir uns aber damit im Kreis – wie an einem Verkehrskreisel.”
Falls es nun einem Betrachter tatsächlich gelingen sollte, das Muster zu fotografieren, wird er automatisch zu einem Video auf der Webseite von Schmidtpeter geleitet.
Das Video beginnt mit einem Bild der QR-Fliese am Brückenpfeiler. Offensichtlich aus dem Auto gefilmt, umrundet die Kamera den Kreisel, in dessen Mittel die Gestalt eines städtischen Bediensteten zu sehen ist – in einen orangen Arbeitsanzug gekleidet.
In der Schusssequenz richtet die Gestalt die Düse eines Hochdruckreinigers auf dem Betrachter. In einer Schrecksekunde blendet das Video im Wasserstrahl aus der Düse lansam aus.
Akustisch wird das Video begleitet von der Spieluhr-Melodie des bekannten Kinderliedes: „La le lu, nur der Mann im Mond schaut zu …”, was die Situation vollends ins Kafkaeske abgleiten lässt. Ein größerer Kontrast als der zwischen dem Verkehrslärm um den Kreisel & dem Lied ist nicht vorstellbar. Drive-by-shooting:
„Der Betrachter versucht etwas im Vorbeifahren festzuhalten/zu fotografieren/für sich zu vereinnahmen.
Wenn er Erfolg hat, und das Handy ihn auf die entsprechende Seite bringt, wird er selbst abgeschossen.
Damit das ganze aber nicht zu gewalttätig wird ist das Video als absurde Szene gedreht worden – aus dem fahrenden Auto heraus; der Schuss ist ein Strahl Wasser aus dem Hochdruckreiniger.”
So unterzieht Ludwig Schmidtpeters Arbeit unseren Umgang & unsere Abhängikeit einem technologiekritischen Blick, der uns ermahnt, misstrauisch & wachsam zu sein & unseren Umgang mit neuen Technologien zu hinterfragen.Hier denke ich, ist sein Ansatz nicht nur ein spezieller, sondern durchaus ein allgemeiner & betrifft somit nicht nur die neuen Medien, Computer- & Internettechnologien , sondern zielt auf unsere Technologiehörigkeit & Machbarkeitsglauben unserer Gesellschaft. Nicht alles, was machbar ist, ist auch notwendig & erwünscht.